Hintergrund
Als eine mittlerweile weltweite und transnationale Bewegung hat sich die Transition-Town-Bewegung seit Mitte der 2000er Jahre formiert. Zunächst konzentrierten sich deren Protagonisten inhaltlich auf den Übergang zur postfossilen Stadt. Innerhalb eines Jahrzehnts sind daraus jedoch vielfältige zivilgesellschaftliche Initiativen hervorgegangen, welche in einem breiten Spektrum stadtentwicklungsrelevanter Bereiche aktiv sind. Mit ihrem ganzheitlichen Ansatz, ihrer normativen Orientierung an umweltgerechter Entwicklung und ihrem partizipationsorientierten Handeln nehmen Transition-Town-Initiativen (TTI) in lokalen Kontexten häufig die Rolle von Intermediären ein. Dieser postmoderne Typ der Stadtmacher, auch "Neo-Intermediäre" genannt (Beck u. a., 2017, S. 45-51) ist ein zivilgesellschaftlicher Akteur, der gesellschaftlichen Wandel von unten initiieren will, einem neuen Verständnis von bürgerschaftlichen Engagement folgt und flexiblere Formen der Vernetzung und Kommunikation nutzt. Als Stadtmacher vermitteln diese Intermediäre zwischen staatlichen Akteuren (Kommunalpolitik und -verwaltung) und nicht-staatlichen Akteuren (Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft) auf der urbanen Ebene und begründen somit eventuell neue Partnerschaften in der nachhaltigen Stadtentwicklung. Im Zuge des Projektes "Neue Partnerschaften in der nachhaltigen Stadtentwicklung? Potenziale von Transition-Town-Initiativen" untersucht das IÖR im Auftrag des Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. (vhw), welche Potenziale, aber auch Herausforderungen sich aus der Zusammenarbeit zwischen Transition-Town-Initiativen und kommunalen Akteuren ergeben und welchen Beitrag sie für eine nachhaltige urbane Transformation leisten.
Erkenntnisinteresse und forschungsleitende Fragen
Im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit befassen sich vhw und IÖR mit Fragen des systemischen Wandels zur Nachhaltigkeit sowie der der Rolle sogenannter Intermediäre in urbanen Governanceprozessen. Im Rahmen des Projektes bilden Intermediäre den Fokus, die als neue transformative Akteure im Zuge einer Transition-Governance in Erscheinung treten. Das Projekt erfasst daher die Fähigkeiten und Kompetenzen von TTI, aber auch Probleme und Herausforderungen, denen TTI in ihrer Rolle als Intermediäre begegnen. Hierzu möchte das Projekt 1) die theoretischen Bezüge von TTI aufzeigen sowie eine Charakterisierung und Abgrenzung von TTI im Kontext einer nachhaltigen Stadtentwicklung vornehmen, 2) die Beiträge von TTI für eine nachhaltige und inklusive Stadtentwicklung erfassen, 3) der Rolle von TTI in kommunalen Governance-Arenen untersuchen und 4) die Qualität des intermediären Charakters und die demokratische Legitimität von TTI beurteilen. Daraus ergeben sich unter anderem folgende gemeinsam mit dem vhw entwickelte Forschungsteilfragen:
Forschungsansatz
Mit dem Forschungsvorhaben knüpft das IÖR an die wissenschaftliche Debatte um die Rolle von "grassroots innovation" im Rahmen von Transformationsprozessen an. Zusätzlich orientiert sich das Projekt an dem Konzept der Transition-Governance (Kemp u.a., 2007; Loorbach 2010; Rotmans und Loorbach 2010, S. 140-160; Rotmans u.a., 2001). Transition-Governance besitzt eine explizit normative Orientierung, die auf eine nachhaltige, umweltgerechte Entwicklung gerichtet ist. Die Idee der Transition-Governance ist es, eine neue soziale Bewegung zu initiieren, die die dominierende, nicht-nachhaltige Lebensweise hinterfragt und durch eine nachhaltige, umweltschonende Lebensweise ersetzt. Die Transition-Governance versucht einen dritten Weg zwischen strategischer, langfristiger Planung und dem offenen, evolutionären Charakter zivilgesellschaftlicher Veränderungsprozesse zu finden.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen sollen, nach einer Literatursichtung, einer Desktoprecherche und ersten Sondierungsinterviews mit zentralen Akteuren der deutschen Transition-Town-Bewegung mehrere vertiefte Fallstudien durchgeführt werden. In diesem Zusammenhang werden TTI als "eingebettete Analyseeinheiten" untersucht, welche in spezifischen lokalen Kontexten (Urbane Governance-Arenen = "Fall") agieren, welche wiederum in einen übergreifenden Governance-Kontext (Land, Bund, EU) eingeordnet sind (Yin, 2013). Mit diesem Forschungskonzept knüpft das Projekt an die Forderung an, im Rahmen der urbanen Transition-Forschung vermehrt vergleichende Fallstudien durchzuführen (Wolfram und Frantzeskaki, 2016, S. 12).
Methoden
Im Forschungsprojekt ist vorgesehen, klassische Forschung zur nachhaltigen Stadtentwicklung mit partizipativeren Ansätzen der Erkenntnisgewinnung zu kombinieren. Daher soll das Projekt nicht nur mittels klassischer Methoden der empirischen Sozialforschung (Interviews, Literaturanalyse), sondern auch durch am co-design orientierten Formaten im Rahmen eines Reflexions-Workshops, Wissen und Handlungsempfehlungen generieren.
Eine wesentliche methodische Prämisse für das gesamte Vorhaben sieht das Projekt darin, die TTI nicht als alleinigen Fokus der durchzuführenden Fallstudien zu verstehen, sondern ihre Einbettung in lokale Governance-Arenen in die Untersuchung einzubeziehen und daher auch die Perspektive von Vertretern aus Kommunalverwaltung und -politik sowie weiteren Akteuren der nachhaltigen Stadtentwicklung zu erfassen.
Transferziel
Mit dem Forschungsvorhaben wird eine vergleichende Analyse von Fallbeispielen im deutschen Raum angestrebt, die Auskünfte darüber liefern kann, wie TTIs als Stadtmacher neue Partnerschaften mit kommunalen und staatlichen Akteuren eingehen, um eine nachhaltige Stadtentwicklung anzustoßen. Ziel ist dabei, die Potenziale und Herausforderungen, die in diesen Partnerschaften liegen zu ergründen und somit Handlungsempfehlungen, insbesondere für deutsche Kommunen, zu formulieren.
Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. wird gemeinsam durch Bund und Länder gefördert.
Diese Maßnahme wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.