3. Nationale Konferenz für ein Ökosystem-Accounting in Deutschland

"Informationen über Ökosysteme und ihre Leistungen: Trends der Entwicklung, Institutionalisierung und Nutzung", 29.-30. November 2023, in Siegburg

Ökosystem-Accounting auf dem Weg zu einer umweltpolitischen Agenda

Bonn – Dresden – Berlin, Januar 2024

Bericht

Gut 40 Fachleute aus Politik, Wirtschaft und NGOs haben im historischen Saal des Stadtmuseums Siegburg aktuelle Informationen über den „State of the Art“ zu Ökosystemen und deren Leistungen ausgetauscht sowie Implikationen diskutiert. Eingeladen hatten das Bundesamt für Naturschutz (BfN), das Statistische Bundesamt (StBA) und das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Kooperation mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) sowie den Forschungsprojekten Bio-Mo-D (https://bio-mo-d.ioer.info) und SELINA (www.project-selina.eu).

Die Konferenz diente der Vernetzung von Akteuren aus Wissenschaft und Praxis, die an der Entwicklung und Institutionalisierung der nationalen Ökosystemgesamtrechnungen beteiligt sind (so bezeichnet das StBA das deutsche Ökosystem-Accounting im Rahmen des UN-basierten SEEA-EA) oder weitere ökosystem-bezogene Informationen bundesweit bereitstellen. Zugleich sollte ein Dialog mit Nutzerinnen und Nutzern aus Politik und Gesellschaft eröffnet werden, die diese Informationen verwenden und in ihre Entscheidungsprozesse einbeziehen.
Federführend wurde die 3. Nationale Ökosystem-Accounting Konferenz im Rahmen des BfN-IÖR Projekts "Ökosystemleistungen und Umweltökonomische Gesamtrechnung – Digitales Assessment" organisiert, gefördert mit Mitteln des BMUV. Die Tagung baut dabei auf der 2. Nationalen Konferenz 2021 zur Erweiterung der nationalen Berichterstattung auf (ein früherer Bericht mit ausführlichen Erläuterungen eines umfassenden Ökosystem-Accountings kann unter https://doi.org/10.19217/NuL2022-12-04 nachgelesen werden).

Am ersten Konferenztag gaben die Vertreter des Statistischen Bundesamtes einen Einblick in globale Entwicklungen und Regelwerke zum Ökosystem-Accounting, nahmen die Einordnung der von ihnen in diesem Rahmen durchgeführten Ökosystemgesamtrechnungen in die Umweltökonomischen Gesamtrechnungen vor und legten den Stand ihrer Arbeiten und Ergebnisse dar. Die Entwicklungen auf EU Ebene im Rahmen der Verordnung über europäische umweltökonomische Gesamtrechnungen (z.B. Die EU-VO 2022/125) wurden thematisiert, da sie erstmalig die Mitgliedsstaaten verpflichten, eine solche Gesamtrechnung in regelmäßigen Abständen durchzuführen. Das Umweltministerium sowie die Umweltbehörden BfN und UBA unterstützen diese Arbeiten, einerseits bei Fragen zur Methodik und Datengenerierung, andererseits bei der Einbeziehung von tangierten politischen Programmen, insbesondere der neuen Biodiversitätsstrategie, sowie bei Bedürfnissen und Werten von gesellschaftlichen Gruppen aus Wirtschaft und Gesellschaft.

Darüber hinaus gibt es deutschlandweit zahlreiche Ansätze und Pilotvorhaben, um Ökosystemleistungen zu quantifizieren und Methoden für deren Erfassung zu entwickeln. Beispielhaft seien die von BfN/BMUV geförderten Projekte zur Integration von Ökosystemleistungen in die Umweltökonomischen Gesamtrechnungen am IÖR genannt (https://www.ioer.de/projekte/accounting-ii). Die Ergebnisse umfassen unter anderem rund ein Dutzend abgestimmte nationale Ökosystemindikatoren, welche auf der Konferenz präsentiert wurden, aber auch Vorschläge zum "Capacity Building" für die weitere Etablierung der Ökogesamtrechnungen. Ergebnisse zu ökosystembezogenen Indikatoren sollen unter anderem im Rahmen des neuen IÖR-Forschungsdatenzentrums bereitgestellt werden und den nun anstehenden Transfer von Ökosystem-Informationen in die Öffentlichkeit unterstützen. Hierbei ist an eine enge Kooperation mit dem Statistischen Bundesamt sowie anderen Datenanbietern wie dem Nationalen Monitoringzentrum zur Biodiversität in Leipzig gedacht.

Zugleich stellt sich jetzt immer mehr auch die Herausforderung, diese aufwändig erstellten Informationen verwendbar zu machen. Dafür sollen entscheidungsrelevante Akteure in Politik und Wirtschaft erreicht werden, um aufzuzeigen, wie erstens Ökosystemrechnungen als Grundlage für unterschiedlichste Berichtsanforderungen genutzt werden können und zweitens der "Wert" von Natur und Ökosystemleistungen zukünftig besser in Entscheidungsprozesse einfließen könnte. Dies stand im Fokus des 2. Konferenztages.

Für ein Mainstreaming, d.h. das Einfließen des Themas Biodiversität und Ökosystemleistungen in andere Politikbereiche, ist es zentral, die verschiedenen Stakeholdergruppen einzubeziehen: Politik, NGO’s, Wirtschaft, Multiplikatoren. Welche "Advocacy Coalitions" (Interessenallianzen mit ähnlichen Zielen und Werten) können das Ökosystem-Accounting vorantreiben? Das BMUV und weitere Akteure sehen dieses Mainstreaming als zentrale Aufgabe auf nationaler Ebene.

So ist es ein Ziel des Bio-Mo-D Projekts, eine Vernetzung der Akteure über einzelne Sektoren hinaus aufzuzeigen und bislang vielleicht ungeahnte Allianzen zusammenzubringen, z.B. Umweltverbände, die Bundesbank und Akteure im Bereich von "Sustainable Finance". Hierzu wurden erste explorative Vorschläge präsentiert.

Der klassische Naturschutzbereich – so hört man immer wieder – nicht nur in Umweltverbänden, sondern auch in Behörden und im Ministerium, „fremdelt“ häufiger noch mit umweltökonomischen Accounting- und Finanzansätzen. Hier besteht sicherlich noch weiterer Klärungsbedarf, denn gerade bei einer Bilanzierung von wichtigen Leistungen der Ökosysteme für das Wohlergehen der Menschen wie der Gesellschaft insgesamt geht es nicht darum, "Preisschilder" für Naturgüter auszuweisen, sondern den bislang unerkannten Beitrag intakter Ökosysteme für den zukünftigen Wohlstand offen zu legen – wie auch die mit "blinder" Wachstumsorientierung verbundenen Degradierungen. Dazu sollte eine verbesserte Berichterstattung, welche sowohl soziologisch, ökologisch als auch ökonomisch Wohlstand erfasst, (weiter-) entwickelt werden. Zentrale Stellschrauben mit Blick auf die Transformation der Wirtschaft wären u. a. die Korrektur der Wohlfahrtsmessung und der Wirtschaftsberichterstattung, z.B. durch den weiteren Ausbau der Ökosystemgesamtrechnung und der Integration von Naturkapital in wirtschaftliche Entscheidungsmechanismen. Aktuelle Versuche, ökologisch-ökonomische Berichterstattung auf Bundesebene zu gestalten, wurden in den Sonderkapiteln ökologische Grenzen sowie Wohlfahrtsmessung und gesellschaftlicher Fortschritt des Jahreswirtschaftsberichts 2023 aufgenommen. Dazu kann das Ökosystem-Accounting künftig einen zentralen Beitrag leisten, was ebenso in der Konferenz thematisiert wurde.

Weiter scheint sich gerade der Finanzsektor als neuer Akteur darzustellen, welcher das Thema zunehmender Risiken durch Biodiversitätsverluste erheblich vorantreibt, und somit auch die Voraussetzungen für einen neuen Stellenwert des Ökosystem-Accounting mit schafft.

Auch der Vertreter der Value Balancing Alliance (VBA) stellte klar, dass der größte Druck, der das Thema in das unternehmerische Bewusstsein rückt, vom Finanzmarkt kommt. Die Zentralbanken, so wurde auf der Konferenz von verschiedenen Seiten hervorgehoben, haben die Risiken durch Biodiversitätsverlust erkannt. 60 Prozent der deutschen Unternehmen sind von mindestens einer Ökosystemleistung abhängig. Naturverlust ist insofern immer mehr ein systemisches Risiko auch für Staaten geworden. Per Mandat sehen sich die Zentralbanken deshalb verpflichtet, hier zukünftig aktiver zu werden. Der gleiche Zusammenhang dürfte für die Versicherungen gelten: Auch für sie wachsen sich Biodiversitätsverluste immer mehr in systemische Risiken aus. Offen ist noch, ob sich hier beispielsweise aus Naturschutzsicht neue Allianzen bilden lassen.

Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) hält inzwischen auch die Unternehmen an, sich mit ihren Abhängigkeiten von Ökosystemen und Biodiversität zu beschäftigen, Risiken frühzeitig zu erkennen und Investitionen entsprechend anzupassen. Die Konferenz signalisierte hier nun die Option, dass ergänzend Daten aus dem statistischen Ökosystem-Accounting in diese Prüfungsprozesse einfließen könnten. 

Aus Sicht des BUND sind indes viele Wirtschaftssektoren in ihren Handlungslogiken einer Wachstums- und Gewinnsteigerung gefangen, entsprechend gehe der Artenschwund weiter. Die Politik müsse diese Logiken beeinflussen, z.B. indem Landwirte nicht nur für die Produktion von Nahrungsmitteln bezahlt würden, sondern auch für Leistungen zum Erhalt der Natur, forderten Vertreter der Umweltschutzorganisation auf der Konferenz.

Soweit einige Facetten der erfolgreichen Tagung. Wichtige Punkte eines Resümees sind aus Sicht der Autoren:

Die Einbeziehung von, Ökosystemleistungs- und Biodiversitätsbelangen in Wirtschafts- und Wohlfahrtsberichte schreitet in Deutschland voran. Ziel dieses Accountings ist es, Transparenz zu schaffen. Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sollten die Daten aufnehmen, interpretieren und zukünftig stärker in umweltrelevante Entscheidungen einbeziehen.

Die Konferenz machte auch deutlich, dass sich das Narrativ ändert: Wirtschaft beschäftigt sich immer mehr mit Naturvermögen. Das Ökosystem-Accounting kann zeigen, welche Biodiversitätsziele, zu denen sich Deutschland verpflichtet hat, erreicht oder verfehlt werden. Die Erwartung besteht darin, dass man mit Hilfe des Accountings Entscheidungsträger auch aus anderen Politikbereichen mitnehmen kann. Und man kommt nicht umhin, den Wechsel vom Narrativ zum tatsächlichen Handeln mehr in das Blickfeld nehmen. Fragen eines verbesserten Wissenstransfers (bzw. etwas umfassender: "Science-Policy Interface") werden deshalb zukünftig an Bedeutung gewinnen.

Karsten Grunewald (k.grunewaldioer@ioer.de)
Roland Zieschank (r.zieschank@izt.de / Bio-Mo-D Projekt)
Vera Taborski (Vera.Taborskiioer@BfN.de)

Link zu den Vorträgen der 3. Nationalen Konferenz 2023

Download des Berichts (PDF)

 

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