Unsere Beziehung zur Natur – In Zeiten der Krise ist sie von zentraler Bedeutung

Die sozial-ökologische Krise wirkt sich zunehmend negativ auf unseren Alltag aus. Trotzdem ist bisher vom dringend nötigen gesellschaftlichen Wandel Richtung Nachhaltigkeit wenig zu spüren. Woran liegt das? Wie lässt sich das ändern? Und welche Rolle spielt dabei unsere Beziehung zur Natur? Martina Artmann, Leiterin der Leibniz-Junior Research Group "Urbane Mensch-Natur Resonanz für eine Nachhaltigkeitstransformation" am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), geht diesen Fragen in einem Fachartikel nach. Der Beitrag ist im Open-Access-Journal "Ecosystems and People" erschienen. Er bildet eine wichtige konzeptionelle Grundlage für die Arbeit der Nachwuchsforschungsgruppe und gibt Denkanstöße für die weitere Forschung zur Resonanztheorie im Kontext der Nachhaltigkeitswissenschaften.

Die Hypothese, dass die Entfremdung des Menschen von der Natur eine der Wurzeln der aktuellen sozial-ökologischen Herausforderungen wie Klimawandel und Artensterben bildet, ist weitverbreitet. Wie aber kann ein positiver Gegenentwurf dieser Beziehungskrise in unserer westlichen Lebenswelt aussehen? Hartmut Rosa, Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, geht in seiner Resonanz-Theorie davon aus, dass in einer Zeit zunehmender Beschleunigung die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt zunehmend verstummt. Als positiven Gegenpol zu dieser Entfremdung schlägt er den Begriff der Resonanz vor. In ihrem Beitrag hat Martina Artmann Rosas Resonanz-Theorie nun für die Nachhaltigkeitswissenschaften übersetzt und dabei herausgearbeitet, welchen Beitrag das Konzept der Mensch-Natur-Resonanz für einen Wandel Richtung Nachhaltigkeit leisten kann. Der Forscherin war dabei wichtig, einen integrativen Beitrag zu unterschiedlichen Wissensformen zu leisten. "Ich erkunde in meinem Beitrag, wie wir durch die Idee der Mensch-Natur-Resonanz besser verstehen können, warum es an wirkungsvollen Maßnahmen zur Realisierung eines nachhaltigen Wandels fehlt. Hier geht es also um Systemwissen. Außerdem gehe ich den Fragen nach, welche Vision es für diesen Wandel braucht, welches Zielwissen also erforderlich ist, und wie wir diese Vision umsetzen können, welches Handlungswissen es also braucht", erläutert Artmann ihr Vorgehen.  

"Im Kontext der Nachhaltigkeit bedeutet Mensch-Natur-Resonanz, dass uns die negativen Auswirkungen der sozial-ökologischen Krisen berühren und wir darauf entsprechend antworten und unsere ausbeuterische Beziehung zur Natur wandeln", erklärt die Forscherin weiter. Im Sinne der Resonanz-Theorie geht sie davon aus, dass die Beziehung zwischen Mensch und Natur verstummt ist. Der Mensch sieht sich als der Natur überlegen an. Die Natur wird als lebloses Objekt und frei verfügbare Ressource wahrgenommen. Dass natürliche Ressourcen jedoch endlich sind, wird in dieser Weltsicht ausgeblendet, die Natur ohne Rücksicht übernutzt und zerstört. Diese Zerstörung berührt uns Menschen nicht, sondern wird als normaler Zustand angesehen, die Verbindung zwischen Mensch und nichtmenschlicher Natur ist damit "verstummt".

Einen möglichen Ausweg aus dieser Situation und damit die Chance auf einen Wandel Richtung Nachhaltigkeit zeigt nach Ansicht von Martina Artmann die Resonanz-Theorie auf. Demnach brauche es eine resonante Beziehung zwischen Mensch und nichtmenschlicher Natur. Der Mensch müsse sich wieder berühren lassen von den Auswirkungen, die der Natur durch nicht nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweisen widerfahren. Solch eine resonante Beziehung setzt voraus, dass sich Mensch und Natur quasi auf Augenhöhe begegnen, beide Seiten mit jeweils eigener Stimme zueinander sprechen können. Um der Natur wieder eine Stimme zu geben und Mensch-Natur-Resonanz zu fördern, schlägt Martina Artmann die positive Vision von Mensch-Natur-Partnerschaften vor. In dieser Vision stehen Werte wie Mitgefühl und Fürsorge im Mittelpunkt und Natur wird als lebendige Rechtsperson mit Eigenwert anerkannt. "Wenn wir diese Werte verinnerlichen und Natur als Partnerin anerkennen, dann empfinden wir nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweisen wie weniger Flugreisen oder Fleischkonsum nicht mehr als Verzicht, sondern als Teil eines guten Lebens“, erläutert Martina Artmann. „Denn wenn es meinem Partner oder meiner Partnerin gut geht, dann geht es auch mir gut", betont die Wissenschaftlerin.

Wie wir von der Natur als beseeltem und lebendigem Wesen in der Stadt berührt werden können und wie sich Mensch-Natur-Partnerschaften in der Stadtplanung und im Alltag im Bereich der Ernährung umsetzen lassen, untersucht die Nachwuchsforschungsgruppe in ihren weiteren Arbeiten. Der Artikel von Martina Artmann dient dabei als Grundlage, um Mensch-Natur-Resonanz im städtischen Kontext vertiefend zu erforschen.

Hintergrund
Die Arbeit der Leibniz-Junior Research Group URBNANCE (Urbane Mensch-Natur-Resonanz für eine Nachhaltigkeitstransformation) und die Forschung zum Fachartikel wird durch den Leibniz-Wettbewerb finanziert (Fördernummer: J76/2019). Mit den Leibniz-Junior Research Groups ermöglicht die Leibniz-Gemeinschaft Postdoktorandinnen und Postdoktoranden, ihre eigene Nachwuchsforschungsgruppe an einem Leibniz-Institut aufzubauen.

Originalpublikation
Artmann, Martina (2023): Human-nature resonance in times of social-ecological crisis – a relational account for sustainability transformation. In: Ecosystems and People 19(1), 2168760.

Wissenschaftlicher Kontakt im IÖR
Dr. Martina Artmann, E-Mail: m.artmannioer@ioer.de

Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. wird gemeinsam durch Bund und Länder gefördert.

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