IÖR: Welches sind die fachlichen Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Sabine Dörry: Ich beschäftige mich hauptsächlich mit Fragen rund um die Finanzindustrie und deren komplexen Räumlichkeiten. Dies beinhaltet etwa Fragen nach der Entwicklung von nachhaltigen Finanzzentren wie Luxemburg, London und Frankfurt und der Digitalisierung von Finanzökonomien. Außerdem interessiert mich die wichtige Frage, wie mächtig die Finanzindustrie im Verschnitt zu Big Law und Big Tech, also zu den großen Anwaltskanzleien und riesigen Tech-Unternehmen dieser Welt geworden ist. Wie kann es in diesem Umfeld gelingen, nicht nur mit sich selbst Handel zu treiben, zu spekulieren und Arbitrage zu betreiben, also selbst künstlich erzeugte Kurs- und Preisunterschiede auszunutzen, sondern nachhaltige Ökonomien und Gesellschaften auf ihrem Weg mit den notwendigen Investitionen auch sinnvoll zu unterstützen.
Diese Beobachtungen schlagen im Prinzip die Brücke zur globalen Architektur von Netzwerken von Finanzzentren, die sich, je nach Ziel und Regulierung, arbeitsteilig immer wieder neu konfigurieren können, um gesetzliche Vorgaben besser für sich zu nutzen oder auch zu umgehen. Ein Beispiel war etwa die Reaktion auf eine EU-Regulierung zur Bekämpfung von Steueroptimierung: Bestimmte Fondsprodukte, die zuvor hauptsächlich in Luxemburg aufgelegt wurden, wurden praktisch über Nacht über Jersey geleitet – und damit die Regulierung umgangen. Die Geographien von Finanzwirtschaft und Finanzzentren sind also eng mit Regulierung und Innovation verbunden. Aus dieser Perspektive untersuche ich, wie nachhaltig eine strukturell nicht-nachhaltige globale Finanzwirtschaft überhaupt sein kann.
Wenn ich es richtig verstehe, dann sagen Sie: Nachhaltige Entwicklung ist ohne den Finanzsektor nicht möglich. Was meinen Sie damit und was bedeutet das für die Forschung – an einem Institut wie dem IÖR?
Tatsächlich erfordert eine klimaneutrale und nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaften und Ökonomien enorme Investitionen, die der Staat allein nicht stemmen kann. Es geht um jährliche Milliardenbeträge, etwa für die Umsetzung der Energiewende – also den Übergang von fossilen und nuklearen Energiequellen (wie Kohle, Gas und Atom) hin zu erneuerbaren Energien (wie Sonne, Wind, Wasser und Biomasse), oft unter Einsatz neuer grüner Technologien. Diese Energieträger sowie die dafür nötigen, zunehmend digitalisierten Infrastrukturen müssen finanziert werden. Dazu braucht es die Beteiligung der privaten Finanzwirtschaft.
Gleichzeitig ist die globale Finanzindustrie – und ich spreche hier bewusst nicht nur vom deutschen Bankensystem, sondern insbesondere auch von der Fondsindustrie und den Anleihemärkten – derzeit häufig noch von einer Logik geprägt, die das Profitversprechen über den Klimanutzen stellt. Genau hier liegt eine zentrale Herausforderung: Die Finanzmärkte müssen stärker auf Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet werden, um tatsächlich als Hebel für die sozial-ökologische Transformation wirken zu können. Für die Forschung – etwa an einem Institut wie dem IÖR – bedeutet das, dass ökonomische, regulatorische und räumliche Aspekte der nachhaltigen Transformation nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Es braucht ein vertieftes Verständnis dafür, wie Finanzströme, Investitionsentscheidungen und räumliche Entwicklungen miteinander verflochten sind – und wie nachhaltige Steuerungsinstrumente jeweils gestaltet sein müssen, um in unterschiedlichen lokalen Kontexten eine echte transformative Wirkung zu entfalten.
Was hat Sie veranlasst, sich für das IÖR-Fellowship zu bewerben?
Im Rahmen unseres AltFin-Forschungsprojekts, das ich gemeinsam mit Prof. Christian Schulz von der Universität Luxemburg geleitet habe, haben wir Sachsen als eine von mehreren Fallstudien untersucht. In diesem Zusammenhang sind wir mit Dr. Markus Egermann vom IÖR ins Gespräch gekommen – und von dort aus recht schnell zu den großen Fragen rund um Finanzierung, Finanzinvestoren und die Rolle des Finanzsektors in Transformationsprozessen.
In der Transformationsforschung wird Finanzierung oft als gegeben vorausgesetzt, aber selten wirklich als eigene Industrie mit eigenen Zielen, Mitteln und viel Macht mitgedacht. Dabei folgt die Finanzwirtschaft – sei es im Bankensektor oder in der Fondsindustrie – häufig eigenen Logiken und Anreizen: Es geht weniger um die Finanzierung realwirtschaftlicher, nachhaltiger Projekte, sondern oft um geschlossene Zirkulationen von Kapital, etwa um den Handel mit sich selbst. Gewinne entstehen dabei vor allem durch Kapitalabschöpfung, nicht durch langfristige, nachhaltige Investitionen. Genau hier beginnt die kritische Frage: Wie „nachhaltig“ kann ein Projekt sein, dessen Finanzierung auf ökonomischen Strukturen basiert, die selbst alles andere als nachhaltig oder gerecht waren? Diese Ambivalenz stellt eine zentrale Herausforderung für die Transformationsforschung dar – gerade dann, wenn sie den Anspruch hat, sozial und ökologisch gerecht zu wirken.
Diese Fragestellung war auch der Reibungspunkt, an dem Markus Egermann und ich in den ersten Gesprächen angesetzt haben – und letztlich der Ausgangspunkt für meinen Aufenthalt am IÖR. Ich wollte mehr über konkrete nachhaltige Initiativen „on the ground“ in und um Sachsen lernen – und im Gegenzug mein Wissen über globale Dynamiken der Finanzwirtschaft, etwa im stark gehypten Private-Equity-Bereich zur Finanzierung des europäischen „Green Deal“, einbringen. Daraus sind spannende und produktive Diskussionen entstanden.
Welche Möglichkeiten hat Ihnen das IÖR-Fellowship eröffnet?
Zwei Dinge waren für mich in dieser Zeit besonders bereichernd: Zum einen die große Offenheit der Kolleg*innen hier am IÖR – sowohl mir persönlich gegenüber als auch gegenüber dem doch recht komplexen und noch vergleichsweise neuen Themenfeld der Nachhaltigkeitsfinanzierung. Zum anderen hatte ich selbst die Möglichkeit, mit vielen verschiedenen Personen ins Gespräch zu kommen und dabei tiefe Einblicke in ganz unterschiedliche Forschungsbereiche zu gewinnen.
Ich habe unglaublich viel gelernt – etwa über Kommunikationsstrategien und -praktiken im lokalen Nachhaltigkeitskontext von Reallaboren, über die Analyse großer und komplexer Datensätze aus sozialen Medien im Zusammenhang mit Klima- und Nachhaltigkeitsthemen sowie über transformative Ansätze im globalen Süden, insbesondere in Indien. Die Vielfalt der Forschungsthemen und die fachliche Tiefe der Teams haben mich nicht nur beeindruckt, sondern auch nachhaltig inspiriert.
Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal herzlich für die großartige Aufnahme und die inspirierende Zusammenarbeit am IÖR bedanken. Die Zeit hier hat mir nicht nur neue Perspektiven eröffnet, sondern hat in meinen Augen auch den Grundstein für eine weiterführende Kooperation gelegt.
Hatten Sie auch Gelegenheit, Dresden ein bisschen kennenzulernen? Was hat Ihnen besonders gefallen?
Diese Gelegenheit habe ich mir nicht entgehen lassen! Ich bin gebürtige Dresdnerin, lebe aber seit über 20 Jahren nicht mehr hier – umso spannender war es, die Stadt mit neuen Augen zu sehen. Vieles hat sich verändert. Besonders eindrücklich war für mich der Besuch der eingestürzten Carolabrücke. Ich habe sie fotografiert und war – im wahrsten Sinne des Wortes – etwas „geknickt“. Zugleich sehe ich in ihr aber auch einen Ort mit Potenzial: Hier eröffnet sich die Chance, über neue, zeitgemäße und nachhaltige Mobilitätskonzepte nachzudenken – und diese Debatten in Dresden auch aktiv zu führen. Ein spannendes Thema, das ich sicherlich auch aus der Ferne weiter beobachten werde.
Ein ganz persönlicher Bonus meines Aufenthalts war die viele Zeit mit meiner Familie – das habe ich sehr genossen. Und ich habe einen neuen Lieblingsort entdeckt: das kleine Café im Beutlerpark. Ein wunderbarer Platz, um sich mit Kolleg*innen zu treffen, sich auszutauschen – oder einfach mal im Grünen kurz durchzuatmen.
Was nehmen Sie mit aus Ihrer – wenn auch recht kurzen – Zeit am IÖR und in Dresden?
Wir planen auf jeden Fall, auch in Zukunft zusammenzuarbeiten. Die fünf Wochen, die ich hier als Fellow verbringen durfte, sind leider viel zu schnell vergangen. In zahlreichen Gesprächen haben wir begonnen, die Komplexität der globalen Nachhaltigkeitsforschung im Bereich der Finanzierung besser mit der lokal gelebten Nachhaltigkeitspraxis – insbesondere in Sachsen – in Beziehung zu setzen und erste Verbindungslinien zu ziehen. Darauf aufbauend haben wir begonnen, ein gemeinsames Paper zu skizzieren, Ideen für mögliche Projekte zu entwickeln – und vor allem haben wir es geschafft, trotz unserer teils sehr unterschiedlichen fachlichen Perspektiven innerhalb der Nachhaltigkeitsforschung miteinander ins Gespräch zu kommen und eine gemeinsame Sprache zu finden. Und genau das ist, aus meiner Sicht, eine hervorragende Grundlage für zukünftige Kooperationen.
Ich nehme viel Enthusiasmus für diese neuen Vorhaben mit – und ebenso viele Anregungen, die ich in den Alltag meiner eigenen Arbeitsgruppe in Luxemburg einbringen möchte. Besonders der offene und respektvolle Austausch hier am IÖR hat mir sehr gefallen – eingebettet in eine ostdeutsche Mentalität der Offenheit, Bodenständigkeit und Herzlichkeit, die ich in höchstem Maße schätze und so nur hier erlebt habe.
Die Fragen stellte: Heike Hensel
Wissenschaftlicher Kontakt im IÖR
Dr. Markus Egermann, E-Mail: M.Egermannioer@ioer.de
Hinweis:
Die aktuelle Ausschreibung des IÖR-Fellowship-Programmes läuft noch bis zum 12. Mai 2025.
Die Bewerbung ist ausschließlich in englischer Sprache möglich.
Weitere Informationen über das Bewerbungsverfahren